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Diskriminierung eines Rentners im Bewerbungsverfahren

Ein Arbeitgeber verstößt gegen das Verbot der Altersdiskriminierung, wenn er die Bewerbung eines Altersrentners unter Hinweis auf dessen Rentnerstatus bereits im Bewerbungsverfahren zurückweist. Der Rentner kann sogar dann eine Entschädigung verlangen, wenn der Arbeitgeber an einen Tarifvertag gebunden ist, der eine Altersgrenzenregelung enthält. Das hat das LAG Niedersachsen entschieden.

Sachverhalt

Ein Zentrum für Jugendberufshilfe als Dienststelle einer Stadt schrieb eine Stelle in der beruflichen Erwachsenenbildung aus. Gesucht wurde eine „Hauswirtschaftliche Anleitung im Zentrum für Jugendberufshilfe mit 35 Wo/Std., befristet vom 01.07.2017-31.03.2018, Eingruppierung nach TVöD“.

Auf die Stelle bewarb sich ein 71-jähriger Regel-Altersrentner, der zuvor als Küchenleiter und in der Ausbildung von Jugendlichen tätig war. Er machte aus seinem Rentnerstatus in der Bewerbung auch keinen Hehl.

Daraufhin wurde ihm mit Schreiben vom 24.05.2017 mitgeteilt, dass Rentner nicht eingestellt werden würden. Man bat um Verständnis und bedankte sich für das Interesse. Der Rentner schrieb daraufhin an den Bürgermeister, beschwerte sich und schließlich erhielt er per E-Mail eine etwas formellere Absage. Darin teilte die Stadt durch ihren Fachbereich „Personal und Organisation“ dem Rentner mit, die in der Absage

vom 24.05.2017 gewählte Formulierung sei missverständlich und nicht zutreffend und bat dies zu entschuldigen.

Sie wies darauf hin, dass nach § 33 Abs. 1 a TVöD das Arbeitsverhältnis mit Ablauf des Monats ende, in dem die Beschäftigten das gesetzlich festgelegte Alter zum Erreichen der Regelaltersrente vollendet haben. Unter Bezugnahme auf das 71. Lebensjahr des Rentners und des Bezugs einer Altersrente hieß es in der E-Mail weiter, dass dann, wenn nach Erreichen des für die Regelaltersrente gesetzlich festgelegten Alters erneut Beschäftigungsverhältnisse begründet würden, dies nur mit Zustimmung der zuständigen Personalvertretung möglich sei.

Die Personalverwaltung ging allerdings aufgrund der Entscheidungspraxis der Personalvertretung in bisherigen Fällen davon aus, dass die erforderliche Zustimmung der Personalvertretung nicht zu erwarten sei. Deshalb sei er nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen worden. Die ausgeschriebene Stelle wurde tatsächlich nicht besetzt.

Der Rentner war der Auffassung, wegen seines Alters diskriminiert worden zu sein und verlangte eine Entschädigung nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz von drei Gehältern, insgesamt 8.271,48 € zuzüglich Zinsen. Schließlich klagte er seinen Anspruch ein.

Wesentliche Aussagen der Entscheidung

Während der Rentner in der ersten Instanz noch drei Bruttomonatsgehälter erhalten hatte, wurde das in der Berufungsinstanz korrigiert. Ihm stand eine angemessene Entschädigungszahlung nach § 15 Abs. 2 AGG zu, weil die Stadt ihn im Bewerbungsverfahren wegen seines Alters benachteiligt hatte. Zu Recht wendete sich die Stadt aber gegen die Höhe der vom ArbG festgesetzten Entschädigung. Der Rentner konnte als angemessene Entschädigungszahlung nach § 15 Abs. 2 AGG lediglich ein Monatsentgelt verlangen.

Voraussetzung für einen Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG ist ein Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 AGG. Und nach § 7 Abs. 1 AGG dürfen Beschäftigte nicht wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes benachteiligt werden. Hierzu zählt auch das Lebensalter. Das Benachteiligungsverbot bezieht sich auf unmittelbare und mittelbare Benachteiligungen.

Nach § 22 Halbs. 1 AGG ist es ausreichend, wenn jemand, der sich benachteiligt ftihlt, Indizien vorträgt und ggf. beweist, die diese Benachteiligung vermuten lassen. Für die Vermutungswirkung des § 22 AGG ist es ausreichend, dass ein in § 1 AGG genannter Grund „Bestandteil eines Motivbündels“ ist, das die Entscheidung beeinflusst hat. Eine bloße Mitursächlichkeit genügt. Auf ein schuldhaftes Handeln oder gar eine Benachteiligungsabsicht kommt es nicht an.

Hier war eine unmittelbare Benachteiligung des Rentners wegen seines Lebensalters und damit wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes zu vermuten.

Denn das Absageschreiben der Stadt vom 24.05.2017 führt als Grund an, dass keine Rentner eingestellt werden dürften. Damit ist das Lebensalter des Klägers gemeint gewesen, denn die Beanspruchung der gesetzlichen Altersrente setzt ein Mindestalter voraus. Der Bezug einer Altersrente ist daher untrennbar mit dem Alter verbunden.

Eine unmittelbare Benachteiligung des Rentners scheiterte auch nicht allein daran, dass die Stadt auf die ausgeschriebene letztlich niemanden eingestellt hat. Denn die ungünstigere Behandlung liegt bereits in der Versagung einer Chance. Der Bewerber hat einen Anspruch auf ein diskriminierungsfreies Bewerbungsverfahren, der unabhängig von dessen Ausgang besteht. Selbst wenn der Bewerber auch bei diskriminierungsfreier Auswahl nicht eingestellt worden wäre, ist nämlich ein Entschädigungsanspruch nicht ausgeschlossen.

Die Stadt konnte auch nicht beweisen, dass entgegen dieser Vermutung kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligung vorgelegen hat.

Besteht eine Benachteiligungsvermutung, trägt die andere Partei die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz nicht verletzt worden ist. Bei einer wegen des Alters vermuteten Benachteiligung sind die Darlegung und ggf der Beweis von Tatsachen erforderlich, aus denen sich ergibt, dass es ausschließlich andere Gründe waren als das Alter, die zu der weniger günstigen Behandlung geführt haben, und dass in dem Motivbündel das Alter keine Rolle gespielt hat.

Der § 10 Satz 1 AGG gestattet die unterschiedliche Behandlung wegen des Alters, wenn diese objektiv und angemessen und durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt ist. Die Mittel zur Erreichung dieses Ziels müssen angemessen und erforderlich sein.

Die Stadt konnte sich zur Rechtfertigung nicht auf die für sie aufgrund der Tarifbindung geltende Altersgrenzenregelung des § 33 Abs. 1 a TVÖD (VKA) berufen.

Denn diese Tarifvorschrift regelt lediglich die nach § 10 Abs. 3 Nr. 5 AGG zulässige Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Sie hindert aber nicht die Einstellung von Altersrentnern. Vor allem rechtfertigt die Vorschrift nicht, dass ein Bewerber überhaupt nicht in die Auswahl einbezogen wird, wie hier geschehen.

Folgerungen aus der Entscheidung

Arbeitgeber, für die zulässige tarifliche Altersgrenzenregelungen gelten, verstoßen trotzdem gegen das Verbot der Altersdiskriminierung, wenn sie die Bewerbung eines Altersrentners um eine ausgeschriebene Stelle unter Hinweis auf dessen Rentnerstatus bereits im Bewerbungsverfahren zurückweisen.

Praxishinweis

Der TVöD kennt keine Höchstaltersgrenzen für die Einstellung. Arbeitnehmer, die die Regelaltersgrenze vollendet haben, können eingestellt werden, auch wenn sie unmittelbar vorher nicht bei dem Arbeitgeber im Arbeitsverhältnis beschäftigt waren oder mithin nicht unter die Regelung des § 33 Abs. 5 TVöD fallen. Das führt auch nicht zu einer sofortigen Beendigung eines solchen neu begründeten Arbeitsverhältnisses nach § 33 Abs. 5 TVöD. Denn diese Tarifvorschrift erfasst nicht Arbeitsverhältnisse, die nach Erreichen der Regelaltersgrenze abgeschlossen werden.

LAG Niedersachsen, Urt. v. 01.08.2018 — 17 Sa 1302/17

Verzugspauschale auch bei Gehaltszahlungen?

Gilt die Verzugspauschale nach § 288 Absatz 5 BGB auch im Arbeitsrecht? Diese unter Gerichten bislang umstrittene Frage hat nun das BAG beantwortet. Demnach ist die Regelung über die 40 E-Schadensersatzpauschale grundsätzlich nicht bei Gehaltsansprüchen von Arbeitnehmern anwendbar. Ob diese Ansicht auch unionsrechtlichen Vorgaben entspricht, ist aber weiterhin offen.

Sachverhalt

Ein Baumaschinenführer war langjährig bei einem Unternehmen beschäftigt. Sein Arbeitsverhältnis ging im Rahmen eines Betriebsübergangs nach § 613a BGB auf einen Betriebserwerber über. Im Zusammenhang mit dem Betriebsübergang hat die zuständige Gewerkschaft einen Überleitungstarifvertrag geschlossen, der den Arbeitnehmern des Unternehmens, die von dem Betriebsübergang betroffen sind, eine Besitzstandszulage gewährt.

Seit 01.04.2014 war der Arbeitnehmer beim Betriebserwerber tätig. Danach bestand Streit über die Höhe der geschuldeten Vergütung einschließlich der Besitzstandszulage. Der Arbeitnehmer forderte seinen neuen Arbeitgeber mit Schreiben vom 01.08.2016 unter Fristsetzung bis zum 12.08.2016 erfolglos zur Nachzahlung der Besitzstandszulage auf.

Anschließend erhob er Klage auf Zahlung der rückständigen Besitzstandszulage für die Monate Mai bis September 2016 sowie Zahlung von jeweils 40 E Schadensersatzpauschale gern. § 288 Abs. 5 BGB für die Monate Juli bis September 2016, insgesamt 120 €.

Das ArbG Oberhausen hat die Klage mit Urteil vom 09.03.2017 (4 Ca 1280/16) abgewiesen. Das LAG Düsseldorf hat die dagegen gerichtete Berufung mit Urteil vom 10.10.2017 (8 Sa 284/17) zurückgewiesen. Es hat die Revision hinsichtlich der Verurteilung des Arbeitgebers zur Zahlung der Verzugspauschale zugelassen. Auf die Revision des Arbeitgebers hin hat das BAG mit Urteil vom 25.09.2018 (8 AZR 26/18) die Klage im Ergebnis abgewiesen.

Wesentliche Aussagen der Entscheidung

Der Kläger hat keinen Anspruch auf die geltend gemachten Pauschalen. Die Vorschrift des § 288 Abs. 5 BGB findet grundsätzlich auch in Fällen Anwendung, in denen sich der Arbeitgeber mit der Zahlung von Arbeitsentgelt in Verzug befindet.

Allerdings schließt § 12a Abs. 1 Satz 1 ArbGG als spezielle arbeitsrechtliche Regelung nicht nur einen prozessualen Kostenerstattungsanspruch wegen erstinstanzlich entstandener Beitreibungskosten aus, sondern auch einen entsprechenden materiell-rechtlichen Kostenerstattungsanspruch. Damit schließt die Regelung des § 12a ArbGG auch den Anspruch auf Pauschalen nach § 288 Abs. 5 BGB aus.

Folgerungen aus der Entscheidung

Das BAG hat mit dem Urteil die Frage entschieden, in welchem Verhältnis die Vorschrift des § 288 Abs. 5 BGB zu derjenigen des § 12a ArbGG steht. Es hat der Auffassung eine deutliche Absage erteilt, die Vorschrift des § 288 Abs. 5 BGB sei auch im Arbeitsrecht anwendbar.

Das LAG Düsseldorf hatte bereits auf den unionsrechtlichen Ursprung der Regelung des § 288 Abs. 5 BGB hingewiesen. Die Vorschrift dient der Umsetzung der Vorgaben der Richtlinie 2011/7/EU vom 16.02.2011 zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr. Sie ist Bestandteil des Gesetzes zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr und der Änderung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes vom 22.07.2014 (BGBl I, 1218).

Mit der Vereinbarkeit des Ergebnisses seiner Auslegung mit Unionsrecht hegt das BAG keinen Zweifel. Es hält die Richtlinie 2011/7/EU vom 16.02.2011 insoweit offensichtlich für einen „acte claire“, weil es von einer Aussetzung und Vorlage im Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 267 AEUV abgesehen hat.

Praxishinweis

Mit dieser Entscheidung ist die Streitfrage über das Verhältnis von § 12a ArbGG und § 288 Abs. 5 BGB aus Sicht des BAG wohl endgültig geklärt. So wie das LAG Düsseldorf hatten zuvor das LAG Köln (Urt. v. 22.11.2016 — 12 Sa 524/16), das LAG Niedersachsen (Urt. v. 20.04.2017 — 5 Sa 1263/16), das LAG Berlin-Brandenburg (Urt. v. 22.03.2017 —15 Sa 1992/16) und das LAG Baden-Württemberg (Urt. v. 13.10.2016 —

3 Sa 34/16) entschieden.

Der einzige offene Angriffspunkt ist die Frage der Vereinbarkeit der Auslegung des BAG mit unionsrechtlichen Vorschriften. Wenn ein Arbeitnehmer eine Änderung der Rechtsprechung erreichen will, geht dies nur über eine Vorlage im Verfahren nach Art. 267 AEUV. Ein solches Vorabentscheidungsverfahren ist für ein nationales Instanzgericht fakultativ, wenn es davon überzeugt ist, dass die Auslegung einer unionsrechtlichen Norm bzw. die Frage der Vereinbarkeit einer nationalen Norm (hier: § 288 Abs. 5 BGB bzw. § 12a ArbGG) mit unionsrechlichen Vorschriften (hier: R1_, 2011/7/EU) streiterheblich ist.

Möglicherweise kommt hier dem Argument Bedeutung zu, dass die Vorschrift des § 288 Abs. 5 BGB keine Bereichsausnahme für das Arbeitsrecht enthält. Denkbar ist auch die Abstimmung der Vorschriften der § 288 Abs. 5 BGB und § 12a ArbGG nach dem Grundsatz lex posterior derogat legi priori. Es wäre nicht das erste Mal, dass der Aussetzungs- und Vorlagebeschluss eines histanzgerichts die Änderung der Rechtsprechung des BAG eingeleitet hat.

Zu beachten ist, clAss es dem Arbeitnehmer unbenommen bleibt, wegen seiner Entgeltansprüche den gesetzlichen Verzugszins nach § 288 Abs. 1 BGB und ggf. weitergehende Verzugsschäden nach § 288 Abs.

4 BGB geltend zu machen. Das BAG verwehrt dem Arbeitnehmer lediglich den Pauschalschadenersatz nach § 288 Abs. 5 BGB.

BAG, Urt. v. 25.09.2018 — 8 AZR 26/18

Arbeitsverträge: Unwirksame Verfallklausel und Mindestlohn

Eine vom Arbeitgeber vorformulierte Verfallklausel in einem Arbeitsvertrag, die alle beiderseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und damit auch den garantierten Mindestlohn erfasst, ist insgesamt unwirksam, wenn der Arbeitsvertrag nach dem 31.12.2014 geschlossen wurde. In diesen Fällen liegt ein Verstoß gegen das Transparenzgebot vor. Das hat das BAG entschieden.

Sachverhalt

Ein Fliesenleger war auf Grundlage eines schriftlichen Arbeitsvertrags bei seinem Arbeitgeber beschäftigt. Im Arbeitsvertrag war u.a. ein Urlaubsanspruch von jährlich 25 Arbeitstagen geregelt. Außerdem hatten die Parteien eine Verfallfrist vereinbart. Wörtlich stand im Arbeitsvertrag:

„§ 11 Verfallfristen

Alle beiderseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und solche, die mit dem Arbeitsverhältnis in Verbindung stehen, verfallen, wenn sie nicht innerhalb von drei Monaten nach Fälligkeit gegenüber der anderen Vertragspartei schriftlich geltend gemacht worden sind.“

Dann erhielt der Arbeitnehmer im Juni 2016 eine fristlose und vorsorglich eine ordentliche Kündigung. Gegen die Kündigungen klagte er und Mitte August 2016 schlossen die Parteien vor dem Arbeitsgericht einen Vergleich. Darin wurde geregelt, dass das Arbeitsverhältnis aufgrund der fristgemäßen Kündigung aus betrieblichen Gründen geendet hatte.

Der Arbeitgeber verpflichtete sich, das Arbeitsverhältnis ordnungsgemäß abzurechnen und sich ergebende Beträge bis Mitte September 2016 zu zahlen. Damit sollten sämtliche gegenseitige Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und seiner Beendigung erledigt sein.

Der Arbeitgeber hielt sich soweit an den Vergleich, rechnete aber nicht die noch offenen Urlaubstage ab. Der Fliesenleger wollte aber seine Urlaubsabgeltung für 20 Urlaubstage i.H.v. 1.766 brutto erhalten und klagte erneut — allerdings erst im Januar 2017.

Der Arbeitgeber meinte nun, der Anspruch sei aufgrund der arbeitsvertraglichen Verfallklausel nicht mehr durchsetzbar. Schließlich hatte das Arbeitsverhältnis bereits im Juni 2016 geendet und von da ab liefen die arbeitsvertraglich vereinbarten drei Monate.

Der Fliesenleger war aber der Auffassung, dass die Ausschlussfrist unwirksam sei. Dazu trug er eine Reihe von Argumenten vor. Er meinte, er sei von seinem Arbeitgeber bei Abschluss des gerichtlichen Vergleichs arglistig über seine Bereitschaft getäuscht worden, das Arbeitsverhältnis ordnungsgemäß abzurechnen.

Eine schriftliche Geltendmachung sei nicht erforderlich gewesen, da der Anspruch konkludent mit der Kündigungsschutzklage geltend gemacht worden sei. Außerdem hing der Abgeltungsanspruch vom Ausgang der Kündigungsschutzklage ab. Auch nach Abschluss des Vergleichs sei er nicht verpflichtet gewesen, den Abgeltungsanspruch schriftlich zu beziffern und geltend zu machen.

Denn der Arbeitgeber habe hierauf zumindest konkludent verzichtet. Das folge aus seiner im Vergleich eingegangenen Verpflichtung, das Arbeitsverhältnis ordnungsgemäß abzurechnen und sich daraus ergebende Nettobeträge zu zahlen — und dazu würde auch der Urlaubsabgeltungsanspruch gehören. Insoweit sei die Berufung auf die Ausschlussfrist treuwidrig.

Wesentliche Aussagen der Entscheidung

Der Fliesenleger hatte einen Anspruch auf die Urlaubsabgeltung, allerdings lediglich für 19 Tage. Somit hat er 1.687,20 € brutto erhalten. Er musste seinen Anspruch auch nicht innerhalb der vertraglichen Ausschlussfrist geltend machen. An die Begründung dafür hatte der Arbeitnehmer allerdings sicherlich nicht gedacht.

Denn die Ausschlussklausel verstieß gegen § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB. Sie ist nicht klar und verständlich, weil sie entgegen § 3 Satz 1 MiLoG den ab dem 01.01.2015 zu zahlenden gesetzlichen Mindestlohn nicht ausnimmt. Die Klausel konnte deshalb auch nicht für den Anspruch auf Urlaubsabgeltung nach § 306 BGB aufrechterhalten werden.

Der § 3 Satz 1 MiLoG lautet: „Vereinbarungen, die den Anspruch auf Mindestlohn unterschreiten oder seine Geltendmachung beschränken oder ausschließen, sind insoweit unwirksam.“

Folgerungen aus der Entscheidung

Eine vom Arbeitgeber vorformulierte arbeitsvertragliche Verfallklausel, die ohne jede Einschränkung alle beiderseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und damit auch den ab dem 01.01.2015 von § 1 MiLoG garantierten Mindestlohn erfasst, ist also unwirksam. Sie verstößt gegen das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB. Das gilt aber nach dem BAG nur für die Arbeitsverträge, die nach dem 31.12.2014 geschlossen wurden.

Praxishinweis

Ausschlussklauseln, die Mindestlohnansprüche des Arbeitnehmers mitumfassen, sind insgesamt unwirksam. Auch der § 9 Satz 3 AEntG ist ein Verbotsgesetz i.S.d. 134 BGB. Damit sollte sich gar nicht die Frage stellen, ob eine Klausel AGB-rechtswidrig ist oder nicht. Vielmehr ist eine Bestimmung, die gegen das gesetzliche Verbot verstößt, eigentlich per se unwirksam.

Dies gilt allerdings nicht für vollumfassende Ausschlussklauseln in Altverträgen: Derartige Klauseln sind nur insoweit nichtig, als sie sich auf den Mindestlohn erstrecken, bleiben im Übrigen aber wirksam. Ob die Rechtsprechung des BAG zu den Altverträgen tatsächlich Bestand haben wird, bleibt abzuwarten.

Es könnte auch so argumentiert werden: Ein Altvertrag liegt dann vor, wenn der Arbeitsvertrag spätestens am Tag vor dem Inkrafttreten des Tarifautonomiestärkungsgesetzes (16.08.2014) abgeschlossen wurde. Es käme dann nicht auf den 01.10.2015 an, mithin das Datum, zu dem der gesetzliche Mindestlohn fällig wurde. Aber das scheint das BAG jedenfalls derzeit noch anders zu sehen.

BAG, Urt. v. 18.09.2018 — 9 AZR 162/18