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Kein „rechts vor links“ auf öffentlichem Parkplatz

Der in der StVO ver­an­ker­te Grund­satz „rechts vor links“ gilt auf öf­fent­li­chen Park­plät­zen nur dann, wenn die Fahr­bah­nen ein­deu­tig Stra­ßen­cha­rak­ter haben. Der Bun­des­ge­richts­hof hat klar­ge­stellt, dass sich die auf die zü­gi­ge Ab­wick­lung des flie­ßen­den Ver­kehrs ab­zie­len­de Vor­fahrts­re­gel re­gel­mä­ßig nicht auf die Si­tua­ti­on auf Park­flä­chen über­tra­gen lässt.

Blechschaden bei Baumarktbesuch

Ein Autofahrer verlangte von seinem Unfallgegner den Ersatz seines vollständigen Schadens. Die Kollision ihrer Pkw hatte sich 2018 auf dem Parkplatz eines Baumarkts ereignet. Bei eingeschränkter Sicht durch parkende Fahrzeuge und einen abgestellten Sattelzug kam es im Kreuzungsbereich zum Zusammenstoß des Geschädigten mit dem von links kommenden Wagen des Kontrahenten. Dessen Versicherung übernahm die Hälfte des Schadens. Eine Regelung der Vorfahrt durch Schilder oder Markierungen gab es nicht. Das Amtsgericht Lübeck urteilte eine Haftungsquote von 70:30 zugunsten des Anspruchstellers aus. Dessen Ansicht, der Unfallgegner hafte hier wegen Verletzung der Vorfahrtsregel des § 8 StVO voll, erteilte auch das Landgericht der Hansestadt eine Absage: Hier sei allein von Bedeutung, dass beide Parteien – in unterschiedlichem Maß – zu schnell unterwegs gewesen seien. Der BGH bestätigte die Haftungsverteilung der Vorinstanzen.

Fahrbahn ist keine Straße

Der VI. Zivilsenat billigte es ausdrücklich, dass die Lübecker Gerichte die Regel „rechts vor links“ aus § 8 StVO nicht angewandt hatten. Damit entschied der BGH einen bislang von ihm nicht geklärten Streit zugunsten einer stark eingeschränkten Verwendung der Vorfahrtsregel auf Parkflächen. Gebe es dort keine ausdrücklichen Bestimmungen, so komme der Grundsatz „rechts vor links“ – unmittelbar oder auch indirekt im Rahmen des § 1 Abs. 2 StVO – nur dann zur Anwendung, wenn die Fahrbahnen Straßencharakter hätten. Ihre Entscheidung begründeten die Karlsruher Richter mit den Besonderheiten des Verkehrs auf Parkplätzen. Dort stehe nicht die zügige Abwicklung des fließenden Verkehrs im Vordergrund, sondern das vom Gebot gegenseitiger Rücksichtnahme geprägte Ein- und Ausparken sowie das Rangieren. Auf diese Konstellation passe § 8 StVO nicht. Anders könne es sein, wenn bestimmte Strecken aufgrund der örtlichen Gegebenheiten eindeutig erkennbar der Zu- und Abfahrt dienten. 

zu BGH, Urteil vom 22.11.2022 – VI ZR 344/21

Quelle: Redaktion beck-aktuell, 11. Jan 2023

Pauschalurlauber können bei Corona-Einschränkungen Anspruch auf Preisminderung haben

Pau­schal­rei­sen­de kön­nen An­spruch auf eine Min­de­rung des Rei­se­prei­ses haben, wenn ihre Reise durch staat­li­che Co­ro­na-Maß­nah­men be­ein­träch­tigt wurde. Dies hat der Eu­ro­päi­sche Ge­richts­hof ent­schie­den. Un­er­heb­lich sei, dass Co­ro­na-Ein­schrän­kun­gen auch am Wohn­ort des Rei­sen­den sowie in an­de­ren Län­dern ge­gol­ten hät­ten. Im kon­kre­ten Fall, in dem unter an­de­rem der Pool und Strand ge­sperrt waren, muss das Land­ge­richt Mün­chen I nun das Leis­tungs­spek­trum der Reise prü­fen.

Reise wurde spanische Corona-Maßnahmen beeinträchtigt und vorzeitig beendet 

Die Ausgangskläger hatten im März 2020 eine zweiwöchige Pauschalreise auf die Kanarischen Inseln gebucht. Zwei Tage nach ihrer Ankunft dort wurden wegen der Corona-Pandemie die Strände gesperrt und eine Ausgangssperre verhängt. Im Hotel war der Zutritt zu Pools und Liegen verboten, das Animationsprogramm wurde komplett eingestellt. Nach sieben Tagen endete die Reise, sie mussten die Insel verlassen und nach Deutschland zurückkehren. Die Kläger verlangten daraufhin eine Minderung des Reisepreises um 70 Prozent. Der Reiseveranstalter verweigerte dies, weil er nicht für ein solches „allgemeines Lebensrisiko“ einstehen müsse. Das LG München I rief den EuGH zur Auslegung der Pauschalreiserichtlinie an. Danach hat der Reisende Anspruch auf eine angemessene Preisminderung für jeden Zeitraum, in dem eine Vertragswidrigkeit vorlag, es sei denn, der Reiseveranstalter belegt, dass die Vertragswidrigkeit dem Reisenden zuzurechnen ist. 

EuGH: Anspruch auf Preisminderung bei Vertragswidrigkeit durch Corona-Maßnahmen 

Laut EuGH hat ein Reisender Anspruch auf eine Preisminderung, wenn eine Vertragswidrigkeit der in seiner Pauschalreise zusammengefassten Reiseleistungen durch staatliche Corona-Einschränkungen bedingt sei. Denn die Ursache der Vertragswidrigkeit und insbesondere ihre Zurechenbarkeit zum Reiseveranstalter seien unerheblich, da die Pauschalreiserichtlinie in Bezug auf den Preisminderungsanspruch eine verschuldensunabhängige Haftung des Reiseveranstalters vorsieht. Von dieser sei der Reiseveranstalter nur befreit, wenn die Nichterbringung oder mangelhafte Erbringung der Reiseleistungen dem Reisenden zuzurechnen ist, was hier nicht der Fall sei. Dagegen sei es unerheblich, dass Einschränkungen wegen der Pandemie auch am Wohnort des Reisenden sowie in anderen Ländern galten. 

LG muss Leistungsspektrum der Reise prüfen 

Damit die Preisminderung angemessen sei, müsse sie anhand der in der betreffenden Pauschalreise zusammengefassten Leistungen beurteilt werden und dem Wert der Leistungen entsprechen, deren Vertragswidrigkeit festgestellt worden sei. Dabei umfassten die sich aus dem Pauschalreisevertrag ergebenden Verpflichtungen des Veranstalters nicht nur diejenigen umfassen, die ausdrücklich im Vertrag vereinbart seien, sondern auch diejenigen, die damit zusammenhingen und sich aus dem Ziel dieses Vertrags ergäben. Das LG müsse nun beurteilen, ob insbesondere die Sperrung der Pools des Hotels, das Fehlen eines Animationsprogramms in diesem Hotel oder auch die Unmöglichkeit des Zugangs zu den Stränden von Gran Canaria und der Besichtigung dieser Insel infolge des Erlasses der Maßnahmen der spanischen Behörden eine Nichterbringung oder mangelhafte Erbringung der vertraglichen Leistungen durch den Reiseveranstalter darstellen konnten. 

Reiseveranstalter kritisieren Urteil als lebensfremd 

Reiseveranstalter kritisieren das Urteil als lebensfremd. „In der Ausnahmesituation einer Pandemie können allgemeine Lebensrisiken nicht weitgehend an Reiseanbieter ausgelagert werden“, sagte der Torsten Schäfer vom Deutschen Reiseverband der dpa. „Hier hätte der Europäische Gerichtshof mehr Augenmaß walten lassen sollen, statt eine einseitige Entscheidung zu Lasten von Reiseanbietern zu fällen – zumal auch am Wohnort staatliche pandemiebedingte Grundrechtseinschränkungen galten.“ Genau dieser Punkt, nämlich dass zur gleichen Zeit am Heimatort ähnliche Corona-Einschränkungen galten, spielt dem EuGH zufolge aber keine Rolle. Die Verbraucherzentrale NRW begrüßte die Entscheidung dagegen als ein positives Urteil für Verbraucherinnen und Verbraucher.

zu EuGH, Beschluss vom 12.01.2023 – C-396/21

Quelle: Redaktion beck-aktuell, 12. Jan 2023 (ergänzt durch Material der dpa).

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Urlaub verjährt nicht automatisch – Arbeitgeber müssen warnen

Ur­laub ver­jährt nicht au­to­ma­tisch nach drei Jah­ren. Dies gilt zu­min­dest dann, wenn die Ar­beit­ge­ber ihre Ar­beit­neh­mer nicht recht­zei­tig auf­for­dern, den ihnen zu­ste­hen­den Ur­laub zu neh­men und sie nicht vor einer dro­hen­den Ver­jäh­rung war­nen, ent­schied das Bun­des­ar­beits­ge­richt in einem Grund­satz­ur­teil, dass uni­ons­recht­li­chen Vor­ga­ben folgt.

Klägerin nahm Urlaub nicht vollständig

Die Klägerin war beim Beklagten seit 1996 bis zum 31.07.2017 als Steuerfachangestellte und Bilanzbuchhalterin beschäftigt. Sie hatte im Kalenderjahr Anspruch auf 24 Arbeitstage Erholungsurlaub. Mit Schreiben vom 01.03.2012 bescheinigte der Beklagte der Klägerin, ihr „Resturlaubsanspruch von 76 Tagen aus dem Kalenderjahr 2011 sowie den Vorjahren“ verfalle am 31.03.2012 nicht, weil sie den Urlaub wegen des hohen Arbeitsaufwands in seiner Kanzlei nicht habe antreten können. In den Jahren 2012 bis 2017 gewährte der Beklagte der Klägerin an insgesamt 95 Arbeitstagen Urlaub. Ihren gesetzlichen Mindesturlaub nahm die Klägerin nicht vollständig in Anspruch. Der Beklagte forderte die Klägerin weder auf, weiteren Urlaub zu nehmen, noch wies er sie darauf hin, dass nicht beantragter Urlaub mit Ablauf des Kalenderjahres oder Übertragungszeitraums verfallen könne.

Streit über Abgeltung von Urlaub

Mit der am 06.02.2018 erhobenen Klage hat die Klägerin die Abgeltung von 101 Urlaubstagen aus dem Jahr 2017 und den Vorjahren verlangt. Der Beklagte hat die Ansicht vertreten, der Urlaub der Klägerin sei verfallen. Er habe seine Hinweis- und Aufforderungsobliegenheiten nicht kennen und befolgen können, da sich die diesbezügliche Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts erst nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses geändert habe. Zudem seien die Urlaubsansprüche der Klägerin verjährt. Das Arbeitsgericht hatte den Beklagten zur Abgeltung restlichen Urlaubs aus dem Jahr 2017 verurteilt. Im Übrigen hatte es die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hatte den Beklagten auf die Berufung der Klägerin verurteilt, ihr weitere 76 Urlaubstage aus den Jahren 2013 bis 2016 abzugelten. Mit seiner Revision begehrte der Beklagte die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.

BAG fordert Belehrung durch Arbeitgeber

Die Revision des Beklagten hatte vor dem Neunten Senat des Bundesarbeitsgerichts keinen Erfolg. Zwar fänden die Vorschriften über die Verjährung (§§ 214 Abs. 1, 194 Abs. 1 BGB) auf den gesetzlichen Mindesturlaub Anwendung. Die regelmäßige Verjährungsfrist von drei Jahren beginne bei einer richtlinienkonformen Auslegung des § 199 Abs. 1 BGB jedoch nicht zwangsläufig mit Ende des Urlaubsjahres, sondern erst mit dem Schluss des Jahres, in dem der Arbeitgeber den Arbeitnehmer über seinen konkreten Urlaubsanspruch und die Verfallfristen belehrt und der Arbeitnehmer den Urlaub dennoch aus freien Stücken nicht genommen hat.

zu BAG, Urteil vom 20.12.2022 – 9 AZR 266/20

Quelle Redaktion beck-aktuell, 20. Dez 2022 (ergänzt durch Material der dpa).

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