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Keine generelle Vorratsdatenspeicherung zur Bekämpfung schwerer Straftaten

Der Eu­ro­päi­sche Ge­richts­hof be­kräf­tigt er­neut, dass eine all­ge­mei­ne und un­ter­schieds­lo­se Vor­rats­spei­che­rung von Ver­kehrs- und Stand­ort­da­ten zur Be­kämp­fung schwe­rer Straf­ta­ten uni­ons­rechts­wid­rig ist. Be­son­ders schwe­re Kri­mi­na­li­tät könne einer Be­dro­hung der na­tio­na­len Si­cher­heit nicht gleich­ge­stellt wer­den. Zu­läs­sig sei aber unter an­de­rem eine ge­ziel­te Vor­rats­da­ten­spei­che­rung etwa an „stra­te­gi­schen“ Orten wie Flug­hä­fen oder Bahn­hö­fen.

Vorratsdaten in Mordprozess verwertet

In einem Mordprozess in Irland rügte der erstinstanzlich zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe Verurteilte in der Berufungsinstanz die Verwertung von Verkehrs- und Standortdaten aus Telefonanrufen, die gemäß den irischen Vorschriften auf Vorrat gespeichert worden waren. Um die Unzulässigkeit der Beweise zu untermauern, erstrebte er in einem parallelen Zivilverfahren festzustellen, dass die irischen Vorschriften zur Vorratsdatenspeicherung von 2011 wegen Verstoßes gegen Unionsrecht ungültig seien. Der irische High Court gab dem statt. Irland legte dagegen ein Rechtsmittel beim irischen Supreme Court ein. Dieser rief den EuGH zu den unionsrechtlichen Anforderungen an die Speicherung von Verkehrs- und Standortdaten zum Zweck der Bekämpfung schwerer Straftaten, zu den erforderlichen Garantien im Bereich des Zugangs zu diesen Daten sowie zur zeitlichen Wirkung einer etwaigen Ungültigerklärung der Bestimmungen an.

EuGH bekräftigt: Grundsätzlich keine allgemeine und unterschiedslose Vorratsdatenspeicherung

Der EuGH bekräftigt erneut seine ständige Rechtsprechung, wonach eine präventive allgemeine und unterschiedslose Vorratsspeicherung von Verkehrs- und Standortdaten zur Bekämpfung schwerer Straftaten unzulässig ist. Die Speicherung dieser Daten stelle eine Ausnahme vom Verbot der Vorratsspeicherung und einen Eingriff in die in der EU-Grundrechtecharta verankerten Grundrechte auf Achtung des Privatlebens und auf den Schutz personenbezogener Daten dar. Die Bekämpfung schwerer Kriminalität könne für sich genommen eine allgemeine und unterschiedslose Vorratsspeicherung nicht rechtfertigen. Zwar könne eine als real und aktuell oder vorhersehbar einzustufende Bedrohung der nationalen Sicherheit für einen begrenzten Zeitraum eine Maßnahme allgemeiner und unterschiedsloser Vorratsspeicherung von Verkehrs- und Standortdaten rechtfertigen. Besonders schwere Kriminalität könne dem aber nicht gleichgestellt werden.

Gezielte Vorratsdatenspeicherung etwa an „strategischen“ Orten zulässig

Zulässig zur Bekämpfung schwerer Kriminalität und zur Verhütung schwerer Bedrohungen der öffentlichen Sicherheit sei aber eine gezielte Vorratsdatenspeicherung von Verkehrs- und Standortdaten bestimmter Personengruppen oder anhand eines geografischen Kriteriums, etwa die durchschnittliche Kriminalitätsrate in einem geografischen Gebiet oder „strategische“ Orte wie Flughäfen, Bahnhöfe, Seehäfen oder Mautstellen. Zulässig zur Bekämpfung schwerer Kriminalität sei weiter eine allgemeine und unterschiedslose Vorratsspeicherung von IP-Adressen, der Identitätsdaten der Nutzer elektronischer Kommunikationsmittel, sowie eine umgehende Sicherung („quick freeze“) der Verkehrs- und Standortdaten. Der EuGH weist darauf hin, dass die EU-Staaten die Überprüfung und Speicherung der Identität des Käufers eines elektronischen Kommunikationsmittels – wie einer vorausbezahlten SIM-Karte – durch den Verkäufer sowie die Pflicht, den zuständigen nationalen Behörden Zugang zu den Daten zu gewähren, vorschreiben dürfen.

Zeitpunkt und Umfang eines „quick freeze“

Einen „quick freeze“ dürften die Behörden bereits im ersten Stadium der Ermittlungen bezüglich einer schweren Bedrohung der öffentlichen Sicherheit oder einer möglichen schweren Straftat anordnen. Die Sicherung könne auf die Verkehrs- und Standortdaten anderer als der Personen erstreckt werden, die im Verdacht stünden, eine schwere Straftat oder eine Beeinträchtigung der nationalen Sicherheit geplant oder begangen zu haben, sofern diese Daten auf der Grundlage objektiver und nicht diskriminierender Kriterien zur Aufdeckung einer solchen Straftat oder einer solchen Beeinträchtigung der nationalen Sicherheit beitragen könnten. Dazu gehörten die Daten des Opfers sowie seines sozialen oder beruflichen Umfelds. Die verschiedenen Maßnahmen könnten je nach der Wahl des nationalen Gesetzgebers und unter Einhaltung der Grenzen des absolut Notwendigen gleichzeitig angewendet werden.

Zugang zu Vorratsdaten durch Gericht oder unabhängige Verwaltungsstelle zu kontrollieren

Der EuGH weist weiter darauf hin, dass zu Verkehrs- und Standortdaten, die allgemein und unterschiedslos auf Vorrat gespeichert worden seien, um einer als real und aktuell oder vorhersehbar einzustufenden ernsten Bedrohung für die nationale Sicherheit zu begegnen, kein Zugang zum Zweck der Bekämpfung schwerer Kriminalität gewährt werden dürfe. Anderenfalls würde das Verbot einer allgemeinen und unterschiedslosen Vorratsspeicherung zum Zweck der Bekämpfung schwerer Straftaten entwertet. Der EuGH unterstreicht weiter, dass über den Zugang zu gespeicherten Vorratsdaten ein Gericht oder eine unabhängige Verwaltungsstelle entscheiden müsse. Ein Polizeibeamter genüge nicht den Anforderungen an eine unabhängige Verwaltungsstelle.

Zulässigkeit der erlangten Beweismittel nach nationalem Recht zu prüfen

Schließlich bestätigt der EuGH seine Rechtsprechung, dass ein nationales Gericht die Wirkungen einer Ungültigerklärung einer allgemeinen und unterschiedslosen Vorratsspeicherung zur Bekämpfung schwerer Straftaten nicht zeitlich begrenzen könne. Der EuGH weist aber darauf hin, dass die Zulässigkeit der durch eine solche Vorratsspeicherung erlangten Beweismittel nach dem Grundsatz der Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten vorbehaltlich der Beachtung unter anderem der Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität dem nationalen Recht unterliegt.

Verein Digitalcourage sieht eigene Verfassungsbeschwerde gegen deutsche Vorratsdatenspeicherung gestärkt

Digitalcourage e.V. will die Auswirkungen des heuten Urteils auf die eigene Verfassungsbeschwerde gegen die deutsche Regelung zur Vorratsdatenspeicherung prüfen. Der Verein blickt dabei kritisch auf die Ausnahmen, die der EuGH offen lässt. Er fürchtet, dass Regierungen diese nutzen werden, um den Wesenskern der Entscheidung des EuGH zu unterwandern. Vorratsdatenspeicherung vermeintlich gezielt an bestimmten Orten zu ermöglichen, riskiere eine Legalisierung der grundrechtswidrigen Massenüberwachung von weiten Teilen der Bevölkerung. „Diese Ausnahmeregelungen gehen auch auf den massiven Druck zurück, den Mitgliedsstaaten seit Jahren auf den EuGH ausüben. Wie mit der Brechstange wird hier immer wieder versucht, Stück für Stück das Verbot anlassloser Massenüberwachung auszuhöhlen. Dadurch gibt es möglicherweise Schlupflöcher, mit denen Staaten – mit dem neuen Anstrich von sogenannten gezielten Maßnahmen – wieder anlasslose Vorratsdatenspeicherung einführen“, sagt Konstantin Macher von Digitalcourage.

Bayern fordert die rasche Wiederbelebung der Verkehrsdatenspeicherung in Deutschland

Bayerns Justizminister Georg Eisenreich (CSU) forderte die Bundesregierung auf, die im Urteil genannten Spielräume zeitnah zu nutzen. „Der Kampf gegen Kinderpornografie zeigt es sehr deutlich: Fehlende Daten verhindern, dass wir Straftaten aufklären und zum Teil noch laufenden Missbrauch stoppen können. Die Verkehrsdatenspeicherung muss deshalb – soweit es der Gerichtshof zulässt – rasch wiederbelebt werden. Der Bundesjustizminister ist offensichtlich nicht dazu bereit. Dafür fehlt mir jedes Verständnis. Ich halte das für fahrlässig“, so Eisenreich. Es gehe ihm dabei nicht um die Speicherung von Inhalten, sondern um die Zuordnung von IP-Adressen zu Personen. Klar sei, dass der Zugriff unter dem Vorbehalt der richterlichen Entscheidung stehen müsse und nur befristet bei schweren Straftaten möglich sein dürfe. Das auch vom Bundesjustizminister ins Spiel gebrachte Einfrieren von Telekommunikationsdaten direkt nach der Tat („quick freeze“) sei kein gleichwertiger Ersatz. Es würde lediglich die Sicherung von Daten ermöglichen, nachdem die Straftat den Behörden bereits bekannt geworden ist. Die Verbindungsdaten seien dann aber in der Regel längst gelöscht.

Redaktion beck-aktuell, 5. Apr 2022.

Neue Regeln für stillschweigende Vertragsverlängerungen

Ob Strea­ming­dienst oder Zei­tungs­abo: Seit ges­tern gel­ten für Neu­ver­trä­ge über die re­gel­mä­ßi­ge Lie­fe­rung von Waren oder die re­gel­mä­ßi­ge Er­brin­gung von Dienst- oder Werk­leis­tun­gen neue Re­geln. Still­schwei­gen­de Ver­trags­ver­län­ge­run­gen durch AGB sind da­nach nur noch zu­läs­sig, wenn sich der Ver­trag auf un­be­stimm­te Zeit ver­län­gert und mit einer Frist von höchs­tem einem Monat ge­kün­digt wer­den kann.

Für Altverträge gilt § 309 BGB a. F. weiter

Auch für die Kündigung zum Ablauf der zunächst vorgesehenen Vertragsdauer darf nur eine Kündigungsfrist von höchstens einem Monat vorgesehen werden. Dies ergibt sich aus dem zum 1. März 2022 geänderten § 309 Nr. 9 BGB. Die neuen Regelungen sind Teil des Gesetzes für faire Verbraucherverträge, von dem jetzt weitere Teile in Kraft getreten sind. Die neuen Regeln gelten für Verträge, die ab dem 1. März 2022 entstehen. Für „Altverträge“, also solche Verträge, die bereits vor dem 1. März 2022 entstanden sind, bleibt es bei der alten Rechtslage. Die Fortgeltung des § 309 BGB a. F. für Altverträge ergibt sich aus dem zum 1. März geänderten Art. 229 § 60 EGBGB.

Sonderregel für Festnetz-, Internet- und Mobilfunkverträge

Für Festnetz-, Internet- und Mobilfunkverträge gilt schon seit dem 01.12.2021 eine der nunmehr in Kraft tretenden BGB-Vorschrift weitgehend entsprechende Sonderregelung im Telekommunikationsgesetz (§ 56 Abs. 3 TKG). Hiernach kann der Endnutzer einen solchen Vertrag, der sich automatisch verlängert hat, nach Ablauf der anfänglichen Vertragslaufzeit jederzeit unter Einhaltung einer Kündigungsfrist von einem Monat kündigen.

Kündigungsbutton ab Juli

Das Gesetz für faire Verbraucherverträge sieht neben den nunmehr in Kraft tretenden Regelungen weitere Regelungen vor. Bereits zum 01.10.2021 in Kraft getreten sind verbraucherschützende Regelungen über die Unwirksamkeit von in AGB vereinbarten Abtretungsverboten für Geldforderungen und die Dokumentation von Einwilligung in Telefonwerbung. Zum 01.07.2022 in Kraft treten wird die Regelung über den Kündigungsbutton für Verbraucherverträge, die im elektronischen Geschäftsverkehr geschlossen werden.

 

nach Redaktion beck-aktuell, 2. Mrz 2022.

BGB-Änderung 2022

Zum 01.01.2022 sind zwei große Re­for­men des BGB in Kraft ge­tre­ten, die neue Re­geln mit um­fas­sen­den Ge­währ­leis­tungs­rech­ten für Ver­brau­cher­ver­trä­ge über di­gi­ta­le Pro­duk­te sowie Neu­re­ge­lun­gen für den Kauf von Sa­chen mit di­gi­ta­len Ele­men­ten wie etwa Smart­pho­nes be­inhal­ten. Die neuen Re­ge­lun­gen ent­hal­ten unter an­de­rem eine Up­date­ver­pflich­tung für Un­ter­neh­men und eine ver­län­ger­te Frist für die Be­weis­last­um­kehr.

Neues Recht für digitale Produkte: Anwendung auch bei Bezahlung mit personenbezogenen Daten

Das Bundesjustizministerium informierte am 30.12.2021 darüber, dass die beiden Reformen zwei EU-Richtlinien umsetzen, die Digitale-Inhalte-Richtlinie (EU) 2019/770 und die Warenkaufrichtlinie Richtlinie (EU) 2019/771. Die neuen Regeln für Verbraucherverträge über digitale Produkte gelten für Verträge über die Bereitstellung digitaler Inhalte wie etwa Software, E-Books, Musikdateien oder Videoclips oder digitaler Dienstleistungen wie zum Beispiel Musik- und Videostreaming-Dienste, soziale Netzwerke und Online-Spiele. Dabei gelten die neuen Regelungen für alle Vertragsarten. Es spielt keine Rolle, ob es sich um einen Kauf-, Dienst-, Werk-, Schenkungs- oder Mietvertrag handelt. Die Neuregelungen sind auf Verträge über digitale Produkte auch dann anwendbar, wenn mit personenbezogenen Daten bezahlt wird, etwa in sozialen Netzwerken, bei denen der Verbraucher vorab in die Nutzung seiner personenbezogenen Daten einwilligen muss.

Updateverpflichtung und umfassende Gewährleistungsrechte

Die Neuregelungen enthalten für Verbraucherinnen und Verbraucher umfassende Gewährleistungsrechte. Ist ein digitales Produkt mangelhaft, kann der Verbraucher unter bestimmten Voraussetzungen Nacherfüllung (gerichtet zum Beispiel auf Lieferung eines neuen, fehlerfreien digitalen Produkts) verlangen, den vereinbarten Preis mindern oder den Vertrag beenden sowie Schadensersatzansprüche geltend machen. Unternehmerinnen und Unternehmer sind außerdem verpflichtet, Aktualisierungen (Updates) bereitzustellen, damit die digitalen Produkte vertragsgemäß bleiben. Das umfasst Funktions- wie auch Sicherheitsupdates. Bei fortlaufenden Vertragsbeziehungen (zum Beispiel Abonnements) gilt diese Verpflichtung über die gesamte Vertragsdauer. Bei einmalig zu erfüllenden Verträgen wie Kaufverträgen gilt sie für einen Zeitraum, den Verbraucherinnen und Verbraucher vernünftigerweise erwarten können.

Neuregelungen für Kauf von Waren mit digitalen Elementen: Updateverpflichtung 

Die Neuregelungen im Kaufrecht verbessern die Gewährleistungsrechte von Verbraucherinnen und Verbrauchern insbesondere beim Kauf von Waren mit digitalen Elementen. Auch beim Kauf etwa eines Smartphones trifft den Unternehmer eine Updateverpflichtung. Auch nach Übergabe der Kaufsache müssen deren Funktionsfähigkeit und IT-Sicherheit gewährleistet werden. Die Verpflichtung besteht für den Zeitraum, in dem die Verbraucherin oder der Verbraucher Aktualisierungen aufgrund der Art und des Zwecks der Sache erwarten kann. Maßgeblich dafür, wie lange dieser Zeitraum reicht, sind etwa Werbeaussagen, der Kaufpreis und die Materialien, die zur Herstellung der Kaufsache verwendet wurden. Sonderbestimmungen gelten beim Kauf von Sachen, für die eine dauerhafte Bereitstellung digitaler Elemente vereinbart ist wie beispielsweise ein Notebook mit integrierten und für einen bestimmten Zeitraum bereitgestellten Software-Anwendungen. So muss der Verkäufer hier etwa dafür Sorge tragen, dass die in der Sache enthaltenen digitalen Elemente während des Bereitstellungszeitraums mangelfrei sind und bleiben.

Verlängerte Frist für die Beweislastumkehr

Bei Verträgen mit Verbrauchern über die Bereitstellung digitaler Produkte und über den Kauf von Waren gilt eine längere Frist für die Beweislastumkehr, also für die Vermutung, dass ein aufgetretener Mangel bereits im Zeitpunkt der Bereitstellung oder Übergabe vorlag. Diese Frist beträgt künftig ein Jahr nach Bereitstellung des digitalen Produkts oder Übergabe der Ware. Im bisherigen Verbrauchsgüterkaufrecht beträgt diese Frist sechs Monate. Von der Verlängerung ausgenommen wurde der Verkauf lebender Tiere. Für diese Verträge gilt weiterhin eine Frist von sechs Monaten.

Redaktion beck-aktuell, 4. Jan 2022.