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Arbeitnehmer muss Überstunden nachweisen

Will sich ein Ar­beit­neh­mer seine Über­stun­den be­zah­len las­sen, muss er deren Ab­leis­tung be­wei­sen – eben­so wie deren An­ord­nung oder Bil­li­gung durch den Ar­beit­ge­ber. Das hat das Bun­des­ar­beits­ge­richt heute ent­schie­den. Daran habe sich auch nichts durch ein Ur­teil des Eu­ro­päi­schen Ge­richts­hofs ge­än­dert, der vor drei Jah­ren ver­langt hatte, dass Un­ter­neh­men die Ar­beits­zeit ihrer Be­schäf­tig­ten zu­ver­läs­sig auf­zeich­nen.

Zweifel nach EuGH-Urteil

Mit Überstunden möchten manche Arbeitnehmer gerne ihr Salär aufbessern – klar, dass die Unternehmen diese nur bezahlen wollen, wenn sie die Mehrarbeit angeordnet, genehmigt oder zumindest gebilligt haben. Doch wer die Beweislast für die Ableistung der Fron trägt, war nicht mehr sicher. Denn der EuGH hat vor drei Jahren von den Mitgliedstaaten verlangt, Arbeitgeber auf ein „objektives, verlässliches und zugängliches System“ zur Arbeitszeiterfassung zu verpflichten. Mit Spannung war daher erwartet worden, ob Deutschlands oberste Arbeitsrichter dennoch an ihrer bisherigen Linie hierzu festhalten würden, die die Beweislast beim Mitarbeiter sah.

„Keine Zeit zum Rauchen“

Auf einen Nachschlag von über 5.000 Euro klagte dort ein früherer Auslieferungsfahrer, der nach der von ihm selbst ausgesprochenen Kündigung 348 nicht abgegoltene Überstunden errechnet hat. Was das Einzelhandelsunternehmen rundum bestreitet: Anfangs- und Endzeiten habe er zwar einmal täglich registriert, dazwischen aber zahlreiche Pausen eingelegt (die in der elektronischen Stempeluhr allerdings gar nicht hätten eingetragen werden können). Deren Abhaltung sei zudem angeordnet gewesen. Ohne die wäre der Mann auch nicht ausgekommen, weil er ein „starker Raucher“ sei. Wogegen dieser geltend macht, beim Ein- und Ausladen sowie dem Transport von Lebensmitteln und Getränkekisten hätte er überhaupt keine Gelegenheit für Auszeiten gehabt. Das Arbeitsgericht Emden befand zu seinen Gunsten, die Darlegungs- und Beweislast in einem Überstundenprozess liege seit jenem EuGH-Urteil beim Arbeitgeber, wenn der nur die „Kommt- und Geht-Zeit“ dokumentieren lasse: Die Nichterfassung durch ihn stelle eine Beweisvereitelung dar. Das Landesarbeitsgericht Niedersachsen sah das anschließend freilich deutlich anders: Den Europarichtern habe nämlich die Kompetenz gefehlt, zu Fragen der Vergütung Stellung zu beziehen. Schließlich laute Art. 153 Abs. 5 AEUV, der die Zuständigkeiten der Union benennt, wörtlich: „Dieser Artikel gilt nicht für das Arbeitsentgelt, das Koalitionsrecht, das Streikrecht sowie das Aussperrungsrecht.“

Doppelte Anforderung an Kläger

Auch die Bundesrichter in Erfurt ließen sich nun nicht beirren. Ein Arbeitnehmer habe zur Begründung einer Klage auf Vergütung geleisteter Überstunden darzulegen, dass er „Arbeit in einem die Normalarbeitszeit übersteigenden Umfang geleistet oder sich auf Weisung des Arbeitgebers hierzu bereitgehalten“ habe, schrieben sie nach der Verhandlung in einer Pressemitteilung. Und da das Unternehmen nur von ihm veranlasste Überstunden bezahlen müsse, habe der Arbeitnehmer außerdem vorzutragen, dass die geleistete Mehrarbeit „ausdrücklich oder konkludent angeordnet, geduldet oder nachträglich gebilligt“ worden sei.

Keine Auswirkung auf „Überstundenvergütungsprozesse“

Diese vom BAG entwickelten Grundsätze hätten sich durch die auf Unionsrecht beruhende Pflicht zur Einführung eines Systems zur Arbeitszeitmessung nicht verändert, unterstreichen die Arbeitsrichter. Vom „Erfordernis der Darlegung der arbeitgeberseitigen Veranlassung und Zurechnung von Überstunden durch den Arbeitnehmer“ sei auch vor dem Hintergrund des Urteils der Europarichter nicht abzurücken. Schließlich sei dieses zur Auslegung und Anwendung der Arbeitszeitrichtlinie 2003/88/EG und von Art. 31 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union ergangen. „Nach gesicherter Rechtsprechung des EuGH beschränken sich diese Bestimmungen darauf, Aspekte der Arbeitszeitgestaltung zu regeln, um den Schutz der Sicherheit und der Gesundheit der Arbeitnehmer zu gewährleisten“, stellten die Erfurter Kollegen fest. Auf die Vergütung der Arbeitnehmer fänden sie somit grundsätzlich keine Anwendung. Daher gebe es keine Auswirkung auf die nach deutschem materiellen und Prozessrecht entwickelten Grundsätze über die Verteilung der Darlegungs- und Beweislast im Überstundenvergütungsprozess.

Behauptung zu pauschal

Auch sonst stellte sich der Fünfte Senat auf die Seite der hannoverschen Oberrichter. Der Kläger habe nicht konkret genug dargelegt, dass er ohne Pausenzeiten habe durcharbeiten müssen, um seine Auslieferungsfahrten zu erledigen. „Die bloße pauschale Behauptung ohne nähere Beschreibung des Umfangs der Arbeiten genügt hierfür nicht.“ Daher hätten sie offenlassen dürfen, ob die von der Einzelhandelsfirma bestrittene Behauptung, er habe keine Pausen gehabt, überhaupt stimmt.

nach Redaktion beck-aktuell, Prof. Dr. Joachim Jahn ist Mitglied der NJW-Schriftleitung, 4. Mai 2022.

EuGH: Wirksame Verbraucher-Online-Bestellungen nur bei klarem Schaltflächentext

Für Ver­brau­cher muss bei On­line-Be­stel­lun­gen (hier: Ho­tel­bu­chung) al­lein an­hand der For­mu­lie­rung auf der Schalt­flä­che klar sein, dass sie durch An­kli­cken eine Zah­lungs­ver­pflich­tung aus­lö­sen, damit ein Ver­trag zu­stan­de kommt. Dies hat der Eu­ro­päi­sche Ge­richts­hof am 07.04.2022 ent­schie­den. In dem Aus­gangs­streit der In­ter­net-Platt­form Book­ing.com muss das Amts­ge­richt Bot­trop nun klä­ren, ob die  For­mu­lie­rung „Bu­chung ab­schlie­ßen“ dafür aus­reicht.

Streit um Hotelbuchung über Booking.com

Der Beklagte im Ausgangsprozess wollte – als Verbraucher – über die Internet-Plattform Booking.com im Hotel Goldener Anker im niedersächsischen Krummhörn-Greetsiel vier Doppelzimmer für fünf Nächte reservieren. Dazu klickte er auf die Schaltfläche „Ich reserviere“. Anschließend gab er seine persönlichen Daten sowie die Namen seiner Mitreisenden ein und klickte auf die Schaltfläche „Buchung abschließen“. Da er nicht im Hotel erschien, verlangte die Hoteleigentümerin Stornierungskosten in Höhe von 2.240 Euro.

Hinweispflicht auf Auslösung der Zahlungsverpflichtung erfüllt?

Dies setzt voraus, dass ein Beherbergungsvertrag zustande gekommen ist, was davon abhängt, ob die Schaltfläche den Anforderungen in Art. 8 Abs. 2 Unterabs. 2 Satz 2 der Verbraucherrechterichtlinie 2011/83/EU (umgesetzt in § 312j Abs. 3 BGB) genügt. Nach der EU-Regelung muss die Schaltfläche für eine Bestellung mit den Wörtern „zahlungspflichtig bestellen“ oder mit einer entsprechenden eindeutigen Formulierung beschriftet sein. Das mit dem Rechtsstreit befasste Amtsgericht Bottrop sieht diese Anforderungen nicht erfüllt. Nach seiner Ansicht muss sich die Auslösung der Zahlungsverpflichtung aus der Beschriftung der Schaltfläche selbst ergeben. Der Begriff „Buchung“ werde aber nach allgemeinem Sprachgebrauch nicht zwangsläufig mit der Eingehung einer Verpflichtung zur Zahlung eines Entgelts verbunden, sondern häufig auch als Synonym für eine „unentgeltliche Vorbestellung oder Reservierung“ verwendet. Der EuGH sollte klären, ob für die Beurteilung ausschließlich die Worte auf der Schaltfläche maßgeblich seien oder ob auch die Begleitumstände des Bestellvorgangs zu berücksichtigen seien.

EuGH: Nur Formulierung auf der Schaltfläche maßgeblich

Laut EuGH (Az.: C-249/21) geht aus dem Wortlaut der Richtlinie klar hervor, dass die Schaltfläche selbst mit der auf die Auslösung der Zahlungsverpflichtung hinweisenden Formulierung gekennzeichnet sein muss. Daher seien allein die Worte auf dieser Schaltfläche bei der Prüfung zu berücksichtigen, ob der Unternehmer für eine ausdrückliche Zahlungsbestätigung durch den Verbraucher gesorgt habe.

Auslösung der Zahlungsverpflichtung muss deutlich sein

Die Formulierung auf der Schaltfläche müsse für den Verbraucher eindeutig darüber informieren, dass er durch die Bestellung bzw. hier Buchung eine Zahlungsverpflichtung eingeht. Die Formulierung „zahlungspflichtig bestellen“ in der Richtlinie sei dabei nur ein Beispiel, andere entsprechende Formulierungen könnten erlaubt oder bei fehlenden Beispielen in der nationalen Regelung – hier: § 312j Abs. 3 BGB – vom Unternehmer frei gewählt werden, solange die Auslösung der Zahlungsverpflichtung eindeutig aus ihnen hervorgeht.

AG muss Bedeutung des Begriffs „Buchung“ klären

Es sei nun Sache des Vorlagegerichts zu prüfen, ob der Begriff „Buchung“ in der deutschen Sprache sowohl im allgemeinen Sprachgebrauch als auch in der Vorstellung des normal informierten, angemessen aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers zwangsläufig und systematisch mit der Begründung einer Zahlungsverpflichtung in Verbindung gebracht wird. Falls dies zu verneinen sei, sei der Ausdruck „Buchung abschließen“ mehrdeutig, die Formulierung genüge dann nicht den Anforderungen der Richtlinie.

Redaktion beck-aktuell, 7. Apr 2022.

Berufungsunfähigkeit bei chronischer Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren

Be­rufs­un­fä­hig­keit kann auch auf der Dia­gno­se einer chro­ni­schen Schmerz­stö­rung mit so­ma­ti­schen und psy­chi­schen Fak­to­ren be­ru­hen. Das ent­schied das Ober­lan­des­ge­richt Frank­furt am Main und sprach dem Klä­ger, der Si­mu­la­ti­ons­vor­wür­fen aus­ge­setzt war, eine mo­nat­li­che Be­rufs­un­fä­hig­keits­ren­te zu. Das Ge­richt wies dar­auf hin, dass die be­sag­ten Schmerz­stö­run­gen häu­fig schwer zu dia­gnos­ti­zie­ren seien.

Versicherung lehnt Leistungen aus der Berufungsunfähigkeitsversicherung ab

Im konkreten Fall war der Kläger, der eine Berufsunfähigkeitsversicherung abgeschlossen hatte, zu diesem Zeitpunkt als Flugzeugabfertiger tätig. Das Arbeitsverhältnis endete wegen zunehmender gesundheitlicher Beschwerden des Klägers mit einem Aufhebungsvertrag. Die beklagte Versicherung lehnte Leistungen aus der Berufungsunfähigkeitsversicherung ab, es kam zur Klage. Das Landgericht hatte in erster Instanz die Klage auf Leistung nach Einholung einer Vielzahl von Gutachten zurückgewiesen, da keine eine Berufsunfähigkeit begründende somatische oder psychische Erkrankung festzustellen sei. Die Beschwerden entsprächen nicht den objektiven Befunden. Auf psychiatrischem Gebiet sei offengeblieben, ob ein bewusstseinsnaher, willentlicher Prozess vorliege oder aber unbewusste Mechanismen die Schmerzverarbeitung bestimmten. Die hiergegen eingelegte Berufung des Klägers hatte vor dem OLG indes Erfolg. Es verurteilte die Versicherung zur Leistung aus der Berufungsunfähigkeitsversicherung.

Gutachten: Leistungseinbußen von mehr als 50% festgestellt

Der Senat hatte ein internistisch-rheumatologisches Gutachten eingeholt. Nach aufwendiger Diagnostik seien zwar sowohl eine rheumatische Erkrankung als auch eine Fibromyalgie ausgeschlossen worden. Es seien vom Sachverständigen aber auf somatischem Gebiet objektiv nachweisbare Beeinträchtigungen in einem Umfang von 40% festgestellt worden (u.a. arthrotische Veränderungen an den Fingern sowie dem Daumensattelgrundgelenk). Hieran anknüpfend sei der Sachverständige für psychosomatische Medizin zu der überzeugenden Feststellung einer „chronischen Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren“ gelangt, die zu Leistungseinbußen von deutlich mehr als 50% im zuletzt ausgeübten Beruf führten.

Schwierige Diagnosestellung

Im Gegensatz zur „chronischen Schmerzstörung“, die in erster Instanz allein als Diagnose diskutiert worden sei, setze die Diagnose einer „chronischen Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren“ nicht die Feststellung eines psychischen Konflikts oder einer psychosozialen Belastungssituation voraus, erläuterte das Gericht. Die Diagnose der „chronischen Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren“ sei erst im Jahr 2009 in den Diagnoseschlüssel (ICD-10) eingeführt worden, da häufig ein psychischer Konflikt oder eine psychosoziale Belastungsstörung lediglich nicht eruierbar seien, hierdurch jedoch die Diagnosestellung gefährdet sei. Dies zeige auch der vorliegende Fall nachdrücklich auf. Der Kläger sei Simulationsvorwürfen ausgesetzt gewesen. Diese hätten jedoch nach umfangreicher Diagnostik durch den Sachverständigen als erfahrenem Facharzt für Psychosomatik überzeugend ausgeräumt werden können.

 

Gitta Kharraz, Redaktion beck-aktuell, 5. Apr 2022.