Das Angebot des Arbeitgebers, den Arbeitnehmer bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist weiterzubeschäftigen, schließt die Wertung aus, dass ihm eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zu diesem Zeitpunkt unzumutbar war. Allein dadurch kann daher eine außerordentliche Kündigung als unwirksam anzusehen sein. Das hat das LAG Berlin-Brandenburg entschieden.
Sachverhalt
Bei einem öffentlichen Unternehmen wird die Arbeitszeit anhand von Excel-Tabellen erfasst, die die Arbeitnehmer ausfüllen. Eine Angestellte hat an vier Tagen im August und September 2017 ihren Arbeitsbeginn um insgesamt 135 Minuten zu früh in der entsprechenden Excel-Tabelle angegeben.
Die Arbeitgeberin hat die Arbeitnehmerin zu diesem Verhalten angehört. In dem Gesprächsvermerk über das Anhörungsgespräch hat sie u.a. festgehalten: „Daher würde nur eine außerordentliche Kündigung in Frage kommen. Der Ausstieg könne aber in Interessenabwägung so gestaltet werden, dass der Schaden begrenzt wird. Z.B. könne das Arbeitsverhältnis bis Ende des Jahres bestehen bleiben, damit Frau L. ausreichend Zeit habe, sich eine neue Beschäftigung zu suchen und sie die Jahressonderzahlung erhalte.“
Die Klägerin lehnte eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 31.12.2017, dem Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch ordentliche Kündigung, ab. Die Arbeitgeberin hörte den Personalrat zur beabsichtigten außerordentlichen Kündigung und alternativ „im Sinne einer Interessenabwägung“ zu einem Auflösungsvertrag zum 31.12.2017 an und erklärte am 27.10.2017 die außerordentliche Kündigung.
Die dagegen gerichtete Kündigungsschutzklage hat das ArbG Potsdam mit Urteil vom 20.12.2017 (8 Ca 1544/17) abgewiesen. Das LAG Berlin-Brandenburg hat das Urteil auf die Berufung der Klägerin mit Urteil vom 14.06.2018 (15 Sa 214/18) abgeändert und der Klage stattgegeben. Es hat die Revision nicht zugelassen.
Wesentliche Aussagen der Entscheidung
Die Klägerin hat bewusst an vier Tagen den Arbeitsbeginn zulasten der Arbeitgeberin verfrüht angegeben, um ein günstigeres Stundensaldo zu erreichen. Ein solches Verhalten kann eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen (BAG, Urt. v. 09.06.2011 — 2 AZR 381/10).
Aus dem vorangegangenen Verhalten der Beklagten ist zu schließen, dass ihr die Weiterbeschäftigung der Klägerin jedenfalls bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist zumutbar war. Die Beklagte selbst hat
Dann stellte der Arbeitgeber fest, dass Tabakwaren fehlten. Im August 2016 wertete er die Videoaufzeichnungen aus und fand heraus, dass eine Arbeitnehmerin im Februar 2016 an zwei Tagen Kundengelder nicht in die Registrierkasse gelegt hatte, sondern das Geld unterschlagen hatte.
Daraufhin kündigte der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis mit seiner Angestellten außerordentlich fristlos. Die Angestellte legte dagegen eine Kündigungsschutzklage ein, die sie in den ersten beiden Instanzen auch gewann. Das zweitinstanzliche LAG war insbesondere der Auffassung, dass die Videoaufzeichnungen einem Beweisverwertungsverbot unterlegen hätten und insoweit nicht im Prozess berücksichtigt hätten werden dürfen.
Denn der Arbeitgeber hätte die Videos unverzüglich nach Anfertigung löschen müssen. Der Arbeitgeber berief sich dagegen auf § 32 Abs. 1 Satz 1 BDSG in der bis zum 25.05.2018 geltenden Fassung. Der lautete:
„Personenbezogene Daten eines Beschäftigten dürfen für Zwecke des Beschäftigungsverhältnisses erhoben, verarbeitet oder genutzt werden, wenn dies für die Entscheidung über die Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses oder nach Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses für dessen Durchführung oder Beendigung erforderlich ist.“
Wesentliche Aussagen der Entscheidung
Das BAG sah die Angelegenheit etwas differenzierter und stellt sich auf die Seite des Arbeitgebers. Es hob das Urteil des LAG auf und verwies die Angelegenheit zu einer neuen Verhandlung und Entscheidung zurück. Das BAG konnte nämlich nach den bisherigen Feststellungen der Vorinstanzen nicht eigenständig beurteilen, ob die offene Videoüberwachung im Laden des Einzelhändlers rechtmäßig war.
Falls dieses der Fall gewesen sein sollte, wäre auch die Verarbeitung und Nutzung der einschlägigen Bildsequenzen nach 32 Abs. 1 Satz 1 BDSG a.F. zulässig gewesen. Die Arbeitnehmerin wäre nicht in ihren grundgesetzlich geschützten Freiheitsrechten aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG verletzt worden.
Denn der Arbeitgeber musste das Bildmaterial nicht sofort auswerten. Er durfte so lange warten, bis er dafür einen berechtigten Anlass sah.
Die Richter des BAG sahen sogar die Problematik mit der er am 25,05.2018 in Kraft getretenen DSGVO und der neuen Rechtslage. Sie gaben dem LAG deshalb gleich mit auf dem Weg, dass — sollte die Videoüberwachung rechtmäßig erfolgt sein — auch die Vorschriften der seit dem 25.05.2018 geltenden DSGVO einer gerichtlichen Verwertung der erhobenen personenbezogenen Daten der Arbeitnehmerin im weiteren Verfahren nicht entgegenstehen würden.
Folgerungen aus der Entscheidung
Die Speicherung von Videos aus einer rechtmäßigen offenen Videoüberwachung, die vorsätzliche Handlungen eines Arbeitnehmers zulasten des Eigentums des Arbeitgebers zeigen, wird demnach nicht durch bloßen Zeitablauf unverhältnismäßig. Das gilt jedenfalls so lange, wie die Ahndung der Pflichtverletzung durch den Arbeitgeber arbeitsrechtlich möglich ist.
Praxishinweis
Spannend dürfte die Angelegenheit dann werden, wenn zuvor die Löschung der Bilder von Arbeitnehmern oder Kunden verlangt wurde. Denn eine sofortige Löschpflicht sieht Art. 17 DSGVO ausdrücklich vor. Eine solche Löschpflicht kann beispielsweise entstehen, wenn eine betroffene Person das verlangt, sie eine zuvor abgegebene Erklärung widerruft oder Widerspruch gegen die weitere Verarbeitung persönlicher Daten einlegt
eine Weiterbeschäftigung bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist für möglich gehalten und diese von sich aus angeboten. Allein deswegen ist die ausgesprochene außerordentliche Kündigung unwirksam.
Es muss nicht entschieden werden, ob die Kündigung vom 27.10.2017 als ordentliche Kündigung wirksam wäre. Eine Umdeutung nach § 140 BGB kommt nicht in Betracht. Eine unwirksame außerordentliche Kündigung kann nur dann in eine wirksame ordentliche umgedeutet werden, wenn der Arbeitgeber den Betriebsrat bei der Anhörung deutlich darauf hingewiesen hat, dass diese Kündigung hilfsweise als ordentliche gelten soll.
Allenfalls dann, wenn der Betriebsrat ausdrücklich und vorbehaltlos der außerordentlichen Kündigung zugestimmt hat und einer ordentlichen Kündigung erkennbar nicht entgegentreten ist, reicht die wirksame Anhörung zur außerordentliche Kündigung auch im Hinblick auf eine ordentliche Kündigung aus (BAG, Urt. v. 20.09.1984 — 2 AZR 633/82).
Gleiche Erwägungen gelten im Rahmen des Personalvertretungsrechts. Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht gegeben. Die Beklagte hatte den bei ihr bestehenden Personalrat nicht zu einer ordentlichen Kündigung angehört. Der Personalrat hatte der außerordentlichen Kündigung widersprochen.
Folgerungen aus der Entscheidung
Es handelt sich um die schlichte Anwendung der Rechtslage unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des BAG. Dieses hat schon mit Urteil vom 06.02.1997 (2 AZR 51/96) entschieden, dass bei der Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls im Rahmen des § 626 BGB auch das eigene Verhalten des Arbeitgebers zu bewerten ist.
Nimmt ein Arbeitgeber einen bestimmten Kündigungssachverhalt nicht zum Anlass, das Arbeitsverhältnis mit sofortiger Wirkung außerordentlich zu kündigen, sondern gewährt er dem Arbeitnehmer eine der ordentlichen Kündigungsfrist entsprechende soziale Auslauffrist in der erklärten Absicht, den Arbeitnehmer innerhalb dieser Frist auch tatsächlich zu beschäftigen, lässt das eigene Verhalten des Arbeitgebers regelmäßig den Schluss zu, dass ihm auch die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist zumutbar war.
Eine nachvollziehbare Argumentation. Es ist ein nicht auflösbarer Wertungswiderspruch, wenn die Arbeitgeberin von sich aus die Weiterbeschäftigung anbietet, gleichzeitig aber behauptet, genau diese Weiterbeschäftigung sei ihr nicht zuzumuten.
Damit bestätigt das LAG Berlin-Brandenburg, dass die eigene überzeugung des Arbeitgebers von der Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung notwendige Bedingung für die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung ist — auch, wenn diese Wertung von den Arbeitsgerichten regelmäßig nicht geteilt wird.
Praxishinweis
Dem arbeitsrechtlich beratenden Juristen ist dringend anzuraten, die bekannten Minimalanforderungen an die Beendigung eines Arbeitsverhältnisses einzuhalten. Hierzu zählt bei Ausspruch einer fristlosen Kündigung die hilfsweise Erklärung einer ordentlichen Kündigung nach Anhörung des Betriebs- respektive Personalrats. Dann muss ebenso wie im Fall des Angebots der einvernehmlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist die tatsächliche Beschäftigung bis zur Beendigung durch unwiderufliche Freistellung ausgeschlossen werden.
LAG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 14.06.2018 – 15 Sa 214/18