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Keine Rückforderung von Corona-Soforthilfen

Das Ver­wal­tungs­ge­richt Gel­sen­kir­chen hat den Kla­gen eines selbst­stän­di­gen Ver­an­stal­tungs­tech­ni­kers und einer Rechts­an­walts­so­zie­tät ent­spro­chen, die sich gegen Rück­for­de­run­gen er­hal­te­ner Co­ro­na-Fi­nanz­hil­fen durch das Land Nord­rhein-West­fa­len in Höhe von 3.092 Euro be­zie­hungs­wei­se 7.000 Euro ge­wandt hat­ten. Das Ge­richt be­tont, dass die ur­sprüng­li­chen Be­wil­li­gun­gen nicht unter dem Vor­be­halt der Vor­läu­fig­keit er­gan­gen seien. Auch hät­ten die So­fort­hil­fen nicht nur „Li­qui­di­täts­eng­päs­se“ er­fasst, son­dern auch Um­satz­ein­bu­ßen.

Beantragte Corona-Soforthilfen umgehend bewilligt

Als Reaktion auf den Ausbruch der Corona-Pandemie im Frühjahr 2020 und den hiermit einhergehenden Beschränkungen des öffentlichen und wirtschaftlichen Lebens legte die damalige Landesregierung ein Hilfsprogramm für kleine und mittlere Unternehmen sowie Freiberufler und Solo-Selbstständige auf. Ab dem 27.03.2020 konnte jeder von den Pandemiebeschränkungen betroffene Angehörige des genannten Personenkreises unter Verwendung eines im Internet bereitgestellten Antragsformulars eine entsprechende Soforthilfe beantragen. Die hierfür zuständigen Bezirksregierungen bewilligten die Soforthilfen umgehend und zahlten diese in Abhängigkeit von der Beschäftigtenanzahl des jeweiligen Antragstellers in Höhe von 9.000, 15.000 oder 25.000 Euro aus.

„Liquiditätsengpass“ soll für „Behaltendürfen“ der Soforthilfe entscheidend sein

Ab der zweiten Jahreshälfte 2020 forderte das beklagte Land aufgrund einer Ende Mai 2020 veröffentlichten Soforthilfe-Richtlinie sämtliche Hilfeempfänger im Rahmen eines sogenannten Rückmeldeverfahrens auf, ihre Einnahmen und Ausgaben während des Bewilligungszeitraums mittels eines Online-Formulars mitzuteilen. Anhand dieser Angaben ermittelten die Bezirksregierungen den jeweiligen „Liquiditätsengpass“ des Hilfeempfängers als Differenz aus Einnahmen und Ausgaben im Bewilligungszeitraum. Nur in Höhe dieses Liquiditätsengpasses dürften die Hilfeempfänger die Soforthilfe behalten, so das beklagte Land. Die übrigen zu viel gezahlten Mittel forderte es mittels sogenannter Schlussbescheide zurück.

VG: Bewilligungen standen nicht unter Vorbehalt der Vorläufigkeit

In den beiden zu entscheidenden Verfahren hat das VG Gelsenkirchen den Klagen stattgegeben und die Schlussbescheide aufgehoben. Dem Vorbringen des beklagten Landes, dass die ursprünglichen Bewilligungen unter dem Vorbehalt der Vorläufigkeit, das heißt einer endgültigen Schlussabrechnung gestanden hätten, ist das Gericht nicht gefolgt. Weder der Bewilligungsbescheid noch das Antragsformular noch die im Internet durch das Land veröffentlichten „FAQ“ hätten den Vorbehalt erkennen lassen. Der Hinweis des Landes auf seine Ende Mai 2020 erlassene Soforthilfe-Richtlinie gehe fehl, weil diese erst deutlich nach der Bewilligung veröffentlicht worden sei. Bei der Endabrechnung habe das Land außerdem auch nicht ausschließlich auf einen Liquiditätsengpass abstellen dürfen, weil die Soforthilfen nach den Bewilligungsbescheiden auch zur Kompensation von Umsatzeinbußen hätten eingesetzt werden dürfen.

Vor wenigen Tagen hatte bereits das Verwaltungsgericht Köln mehrere ähnliche Entscheidung getroffen. Entgegengesetzte Entscheidung liegen u.a. durch das VG Gießen (4 K 3825/20.GI) und VG Würzburg (W 8 K 20.1732) vor.

zu VG Gelsenkirchen, Urteil vom 23.09.2022 – 19 K 297/22

nach Redaktion beck-aktuell, 26. Sep 2022.

Die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig.

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Arbeitgeber müssen Arbeitszeit kontrollieren und erfassen

Über­ra­schend hat das Bun­des­ar­beits­ge­richt heute ent­schie­den: Un­ter­neh­men müs­sen die Ar­beits­zeit ihrer Be­schäf­tig­ten sys­te­ma­tisch er­fas­sen. Das er­ge­be sich aus einem Ur­teil des Eu­ro­päi­schen Ge­richts­hofs von 2019, sagte Ge­richts­prä­si­den­tin Inken Gall­ner. Mit einer solch weit­rei­chen­den Ent­schei­dung hatte kaum je­mand ge­rech­net – vor­der­grün­dig ging es in dem Rechts­streit nur darum, wie weit die Mit­be­stim­mungs­rech­te eines Be­triebs­rats rei­chen. 

Ungewöhnliche Frontstellung

Eigentlich würde man ja denken, dass Betriebsräte die Einführung einer elektronischen Zeiterfassung skeptisch sehen – erweitert sie doch die Kontrolle der Arbeitnehmer. Doch heute befand das BAG über eine genau entgegengesetzte Klage: Eine Belegschaftsvertretung kämpft für die Einführung ­einer digitalen Stechuhr. Arbeitgeber ist eine von zwei Unternehmen gemeinsam betriebene vollstationäre Wohneinrichtung im Rahmen der Eingliederungshilfe mit rund 100 Beschäftigten. Die beiden hatten bereits die Lesegeräte für eine solche Vorrichtung angeschafft, die Einführung aber aufgegeben, als Verhandlungen über eine Betriebsvereinbarung scheiterten. Doch der Betriebsrat wünscht sich die Neuerung und erreichte in zwei Instanzen die Einsetzung einer Einigungsstelle. Dort machten die Arbeitgeberinnen jedoch deren Unzuständigkeit geltend: Der Gegenseite fehle das Initiativrecht für die Einführung einer solchen technischen Einrichtung. Woraufhin das Kompromissgremium seine Arbeit aussetzte und der Betriebsrat (abermals) vor Gericht zog, um sich die Kompetenz für seinen Vorstoß bescheinigen zu lassen.

Unbezahlte Überstunden, Verletzung von Ruhepausen

Sein Argument: Auch die Beschäftigten könnten ein ­Interesse an der Einführung einer elektronischen Zeiterfassung und von „mehr Kontrolle“ haben, gerade wenn es um die genaue Dokumentation von Arbeitszeit und Überstunden gehe. Schließlich gebe es andere schützenswerte Rechte, die den Persönlichkeitsschutz überwiegen könnten. Gefahren in der Praxis wie unbezahlten Überstunden, Verletzung von Ruhepausen oder Kappung von Arbeitszeitguthaben könne nur entgegen­gewirkt werden, wenn ein objektives System etabliert würde – weshalb Arbeitgeber dies oft verhindern wollten. Die beiden Unternehmen konterten, das Mitbestimmungsrecht bei Einführung technischer Kontrolleinrichtungen nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG sei ein reines Abwehrrecht zum Schutz der Persönlichkeitsrechte der Mitarbeiter. Ergo könne deren Interessenvertretung nicht die Initiative ergreifen, damit eine solche eingeführt wird. Während das ArbG Minden dem folgte, stellte sich das LAG Hamm auf die Seite der Belegschaftsvertreter: Der Gesetzgeber habe in sozialen Angelegenheiten bewusst nicht zwischen Mitbestimmungsrechten mit deren Initiativrecht und solchen unterschieden, bei denen dieses nur beim Arbeitgeber liege. Dem steht aus Sicht der Richter in Hamm nicht entgegen, dass das BAG anno 1989 noch gegenteilig entschieden hatte. Auf das EuGH-Urteil von 2019, wonach Arbeitszeiten durch ein elektronisches System erfasst werden müssten, komme es somit nicht weiter an.

Arbeitsschutzgesetz europakonform ausgelegt

Doch genau das sah nun der 1. Senat in Erfurt unter Vorsitz von Gerichtspräsidentin Inken Gallner ganz anders. Bei unionsrechtskonformer Auslegung von § 3 Abs. 2 Nr. 1 Arbeitsschutzgesetz sei der Arbeitgeber ohnehin verpflichtet, die Arbeitszeiten der Arbeitnehmer zu erfassen. Damit knüpften die obersten Arbeitsrichter an den Spruch ihrer Luxemburger Kollegen an. Die deutsche Vorschrift lautet in ihrem Kontext: „(1) Der Arbeitgeber ist verpflichtet, die erforderlichen Maßnahmen des Arbeitsschutzes unter Berücksichtigung der Umstände zu treffen, die Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten bei der Arbeit beeinflussen. Er hat die Maßnahmen auf ihre Wirksamkeit zu überprüfen und erforderlichenfalls sich ändernden Gegebenheiten anzupassen. Dabei hat er eine Verbesserung von Sicherheit und Gesundheitsschutz der Beschäftigten anzustreben. (2) Zur Planung und Durchführung der Maßnahmen nach Absatz 1 hat der Arbeitgeber unter Berücksichtigung der Art der Tätigkeiten und der Zahl der Beschäftigten 1. für eine geeignete Organisation zu sorgen und die erforderlichen Mittel bereitzustellen sowie 2. Vorkehrungen zu treffen, dass die Maßnahmen erforderlichenfalls bei allen Tätigkeiten und eingebunden in die betrieblichen Führungsstrukturen beachtet werden und die Beschäftigten ihren Mitwirkungspflichten nachkommen können.“

Viele hielten ein neues Gesetz für nötig

Unter Arbeitsrechtlern war hingegen bisher ausgesprochen umstritten, ob das Luxemburger Urteil direkt Arbeitgeber binde oder nur die Mitgliedstaaten verpflichte, eine entsprechende Gesetzesregelung zu schaffen. Der Koalitionsvertrag der Ampel-Fraktionen beschränkt sich insofern lediglich auf den Passus: „Im Dialog mit den Sozialpartnern prüfen wir, welchen Anpassungsbedarf wir angesichts der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zum Arbeitszeitrecht sehen.“ Ein Gesetzentwurf ist aber noch nicht in Sicht – und aus Erfurter Sicht auch nicht mehr unbedingt nötig.

Formal eine Niederlage

Prozesstechnisch hat der Betriebsrat damit allerdings verloren. Aufgrund der gesetzlichen Pflicht im Arbeitsschutzgesetz könne er nämlich die Einführung eines Systems der (elektronischen) Arbeitszeiterfassung im Betrieb nicht mithilfe der Einigungsstelle erzwingen, so das BAG. Ein entsprechendes Mitbestimmungsrecht nach § 87 BetrVG bestehe nur, wenn und soweit die betriebliche Angelegenheit nicht schon gesetzlich geregelt ist.

 

zu BAG, Beschluss vom 13.09.2022 – 1 ABR 22/21

übernommen von Redaktion beck-aktuell, Prof. Dr. Joachim Jahn ist Mitglied der NJW-Schriftleitung, 13. Sep 2022.

Umsetzungsgesetz zur Arbeitsbedingungsrichtlinie -Änderungen im Nachweisgesetz

Wir erlauben uns den nachdrücklichen Hinweis auf eine ab dem 01. August 2022 geänderte Rechtslage zur Umsetzung der Europäischen Arbeitsbedingungsrichtlinie im deutschen Arbeitsrecht.

Hier wurden Neuregelungen im sogenannten Nachweisgesetz in Kraft gesetzt. Diese gelten ab dem 01.08.2022.

  1. Bei Arbeitsverträgen, die zwar vorher (z.B. im Juli 2022) abgeschlossen wurden und der Arbeitsbeginn im August 2022 sein soll, müssen daher die Neuerungen aus § 2 (1) Nachweisgesetz im Arbeitsvertrag enthalten sein oder dem Arbeitnehmer muss zu mindestens am 1. Arbeitstag ein zusätzliches schriftliches Dokument mit den wesentlichen Vertragsbedingungen übergeben werden.
  1. Hat das Arbeitsverhältnis am 01.08.2022 bereits bestanden, so entsteht die Verpflichtung des Arbeitgebers zum Nachweis der genannten wesentlichen Vertragsbedingungen auf ein entsprechendes Verlangen des Arbeitnehmers. Der Arbeitgeber hat spätestens am 7 Tag nach Zugang der Aufforderung dem Arbeitnehmer die Niederschrift in Schriftform auszuhändigen.
  1. Das Nachweisgesetz gilt für alle Arbeitgeber die Arbeitnehmer beschäftigen, egal ob in der Privatwirtschaft oder im öffentlichen Dienst. Auch Praktikanten können vom Nachweisgesetz erfasst sein, wobei hier eine Unterscheidung zwischen Praktikanten nach § 2 (1a) Nachweisgesetz und Praktikanten nach § 1 Nachweisgesetz in Verbindung mit § 22 Mindestlohngesetz zu unterscheiden ist. Eine Nachweispflicht besteht auch für Aushilfen (Arbeitsverhältnisse unter einem Monat).
  1. Die neuen Regelungen gelten nicht für Auszubildende. Hier gilt weiter § 11 Berufsbildungsgesetz. Auch hier muss eine schriftliche Niederlegung des Vertrages erfolgen. Die elektronische Form ist nicht möglich.
  1. Die Nachweispflichten bzgl. der wesentlichen Vertragsbedingungen sollten alle am 1. Tag der Arbeitsleistung entweder durch den schriftlichen Arbeitsvertrag oder in einem schriftlichen Dokument dem Arbeitnehmer übergeben werden, um die entsprechenden Fristen einzuhalten und nicht Geldbußen zu gegenwärtigen.
  1. Es besteht auch weiterhin die Möglichkeit den Nachweis der wesentlichen Vertragsbedingungen – teilweise – mit Verweis auf das Arbeitsverhältnis anzuwendende Tarifverträge bzw. Betriebs- oder Dienstvereinbarung zu ersetzen. Dies ist möglich bei Angaben zur
  • Dauer der Probezeit (gem. § 2 Abs. 1 S. 2 Nr. 6 NachwG),
  • Entlohnung ((gem. § 2 Abs. 1 S. 2 Nr. 7 NachwG),
  • vereinbarte Arbeitszeit, Ruhepausen/Ruhezeiten, Schichtsysteme (gem. § 2 Abs. 1 S. 2 Nr. 8 NachwG),
  • Anordnung von Überstunden (gem. § 2 Abs. 1 S. 2 Nr. 10 NachwG),
  • Urlaubsdauer (gem. § 2 Abs. 1 S. 2 Nr. 11 NachwG),
  • Fortbildungsanspruch (gem. § 2 Abs. 1 S. 2 Nr. 12 NachwG),
  • Betriebliche Altersversorgung (gem. § 2 Abs. 1 S. 2 Nr. 13 NachwG),
  • Kündigungsmodalitäten (gem. § 2 Abs. 1 S. 2 Nr. 14 NachwG).

Bedeutsam sind nachfolgende wesentliche Änderungen bzw. Neuerungen, die in die Verträge/Niederschriften aufzunehmen sind.

  1. Bei befristeten Arbeitsverhältnissen muss ein Enddatum oder die vorhersehbare Dauer des Arbeitsverhältnisses nachgewiesen werden.
  1. Arbeitsort

Hier muss zusätzlich mitgeteilt werden, wenn der Arbeitnehmer seinen Arbeitsort frei wählen kann.

  1. Probezeit

Sofern eine solche vereinbart wurde, ist der Arbeitnehmer über die Dauer der Probezeit zu unterrichten.

  1. Überstundenvergütung/Entgeltbestandteile, Art der Auszahlung der Vergütung

Neben der Zusammensetzung der Höhe des Arbeitsentgeltes, der Zulagen und Zuschläge, sowie Prämien und Sonderzahlungen sind nunmehr auch die Vergütung von Überstunden den Arbeitnehmer mitzuteilen. Dabei sieht das Nachweisgesetz vor, dass die einzelnen Bestandteile des Arbeitsentgeltes getrennt anzugeben und die Art der Auszahlung auszuweisen ist.

  1. Ruhepausen/Ruhezeiten und Information zur Schichtarbeit

Auch dies muss nunmehr getrennt und im Einzelnen ausgewiesen werden im Vertrag/schriftlichen Dokument. Das gleiche gilt für die Arbeit auf Abruf.

  1. Betriebliche Altersversorgung

Wenn der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer eine betriebliche Altersversorgung über einen Versorgungsträger zusagt, so hat er mindestens den Namen und die Anschrift des Versorgungsträgers zu nennen.

  1. Kündigungsmodalität

Hier ist auf das Schriftformerfordernis von Kündigungen hinzuweisen, die Kündigungsfristen und (bedeutsam) die Frist zur Erhebung einer Kündigungsschutzklage ist auszuweisen.

Bei Verstößen gegen die Nachweispflichten drohen Bußgelder von bis zu 2.000,00 Euro.

Sollten insgesamt hierzu Fragen bestehen oder auch die Überarbeitung bestehender Arbeitsvertragsformulare Sie für notwendig erachten, kontaktieren Sie uns unter den bekannten Kontaktdaten, wie Telefon, Telefax oder E-Mail oder auf unserer Internetseite.